Wir trafen uns wie immer
Auf ein gemeinsames Dinner
Vertraut und doch stets auf Distanz
Zu diskutieren über des Jahres Bilanz
Politik, Beruf und auch Privates
Was man so tut, von Yoga bis Pilates
Bevor wir wieder eintauchen in eines unserer Lieblingsthemen
Die verschiedenen Kulturen und ihre Art zu leben
Die Augen zu senken heißt asiatisch Respekt
Wir Europäer mögen es eher direkt
Manche missdeuten die Gesten auf beiden Seiten
Erkennen nicht an die Sitten aus anderen Breiten
Wir mögen es nicht begreifen noch anerkennen
Dass gesenkte Blicke mehr als Respekt auch Hierarchie benennen
Der direkte Blick in die Augen des Gegenübers bedeutet hingegen
Eine Kriegserklärung, so sagst du mir, das finde ich verwegen
Du verunsicherst mich und ich frage mich, und ich frage dich,
Ob ich dir jetzt noch direkt in die Augen schauen darf, ganz unverbindlich
Du lachst und erwiderst, natürlich, denn schließlich sind wir uns gleich
Und verbeugst dich vor mir sogleich
Was ist das mit uns beiden
Seit Jahren diese Begegnungen, bei denen wir uns stets voreinander verneigen
Immer darauf bedacht
Die Balance zu halten zwischen deutsch direkt und asiatisch sacht
Ich mag dich sehr, du bist so klug, so wissend und offen für alle Fragen
Du strahlst von innen, ruhst in dir, ich kann dir nicht sagen
Wie bereichernd du bist, so sehr, dass ich dir dieses Gedicht schreiben muss
Um es einmal auszusprechen, wie gut du mir tust
Einmal im Jahr, gewiss, das ist nicht viel
Aber einmal im Jahr, ein Gespräch mit solchem tiefem Grund und Einsicht in des Lebens Ziel
Wiegt mehr als hundert andere, banale und zum Zeitvertreib
In dem Alter, in dem ich stehe und suche nach dem, was bleibt
Was mich trägt und erfüllt…