Archiv der Kategorie: Flüchtlingskrise

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Donnerstag vor einer Woche…

Da ich am Wochenende etwas vorhatte, zog ich den Hausputz um einen Tag vor, sicherlich nicht, weil ich ihm den Vorzug vor anderen Aktivitäten gegeben hätte, aber aus rein praktischen Erwägungen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe im Alltag so meine Rituale, vor allem, was die wöchentliche Grundreinigung angeht. Das erspart allwöchentliche neue Planungen.

Von der Küche arbeite ich mich mittels Staubwischen, Staubsaugen und Wischen durch die anderen Wohnräumen bis zur Reinigung des Badezimmers vor. Wenn ich dann dort angekommen bin, ist es mit der Geduld meistens nicht mehr so ganz weit her. Dann sind alle erlernten Methoden, die Ruhe zu behalten und sich in die Arbeit zu versenken, nur noch Makulatur und es geht um die zügige Abwicklung der Restarbeiten. Ich will hier nicht alle Einzelheiten beschreiben, wie ich z.B. den „Alibert“ (den Begriff habe ich für die jüngere Generation in einem früheren Beitrag bereits eingeführt) von oben reinige.

Alle Tätigkeiten sind soweit seit langem Standard und bergen kaum Überraschungen.

Bis letzten Donnerstag.

Ich war gerade in der Toilettenecke zugange oder zuwege (schon wieder so was altes) und wollte den Toilettenrollenhalter von außen abwischen.

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Wie auf dem Bild zu sehen, befindet sich um den unteren Rand herum eine blaue Gummilitze, vermutlich zum Schutz. Das war mir allerdings bis Donnerstag nicht klar. Ich wischte also mit Elan am unteren Rand entlang und geriet dabei unversehends unter die Gummiabdichtung und flutsch, der scharfe Metallrand, den ich offensichtlich freigelegt hatte, trieb sich in meinen rechten Daumen. Aua. Aua. Aua…Hypothetisch stieß ich einen entsprechenden Schmerzensschrei aus, der jedoch, wie nach bereits mehreren ähnlichen Alarmübungen nicht anders zu erwarten, von meiner Umwelt unbeachtet blieb. Weder mein Aufschrei, als ich kürzlich vom Stuhl gefallen bin, noch ein Rauchalarm wegen nicht beachteter Überhitzung der Pfanne (die Rauchmelder funktieren jedenfalls) veranlassten meine NachbarInnen, sich um mein Befinden Sorgen zu machen. So ist die Welt.

Nun stand ich da, das Blut schoss aus der Wunde, mit meinen Lippen presste ich die beiden Seiten meines Fingers zusammen und überlegte, was zu tun sei. Ich zog in Erwägung, die 110 zu wählen bzw. dachte ich, ich könnte versuchen, mit meinem Smartphone zu sprechen, um es zu veranlassen, den Notruf selbständig abzusetzen. Nachdem ich Google mit der Nase aufgerufen hatte, flüsterte ich durch die Lippen hindurch eennsennsnul. Leider verstand mich Google in dieser lebensbedrohlichen Situation nicht und bat ungerührt um Wiederholung. Als ich mich offensichtlich auch beim zweiten Versuch nicht verständlich machen konnte, herrschte mich die ansonsten immer so freundliche Google-Dame an, ich solle gefälligst den Finger aus dem Mund nehmen, wenn ich mit ihr spreche. Völlig verstört fiel mir der Finger tatsächlich in den Schoß. Es blieb mir keine Zeit, mit Frau Google über den Sinn oder Unsinn der totalen Überwachung zu diskutieren,  wenn sie im Notfall doch nicht funktioniert,  da ich meinen Finger unbedingt und sofort wieder an den vorherigen Ort zurückführen musste,  um eine weitere Blutlache auf meiner  weissen Hose  zu vermeiden. Nach anderen Auswegen aus dieser vertrackten Lage suchend, kam mir die Idee, jetzt lieber gleich die Luftrettung einzuschalten, denn schließlich hatte ich vor einem Jahr während des Tages der offenen Tür in einem der hiesigem Krankenhäuser mir just aus diesen Erwägungen heraus ein Jahres-Abo für bevorzugte Luftrettung erkauft. Ich will nicht verschweigen, dass mich die Zugabe eines leuchtend grünen Kulis endgültig überzeugte. Leider fiel mir ein, dass ich alle Zahlungsaufforderungen für die Verlängerung des Abos aus mir unverständlichen Gründen ignoriert hatte.

Was blieb mir also übrig, als mich selbst um meine Rettung zu kümmern. Immer noch den Finger zwischen meinen Lippen zusammenpressend, eilte ich in die Küche und suchte meinen Vorrat an Pflastern heraus.

Viele Küchentücher und Pflaster später lag ich ermattet ob des hohen Blutverlustes auf dem Sofa und betrachtete nicht ohne Stolz die Rundumversorgung meines Fingers. Gerettet!

Ich ahne es schon, ihr glaubt mir die ganze Geschichte nicht?

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Hier ist der Beweis, 1 Woche später…..

Jetzt wächst langsam wieder zusammen, was zusammen gehört.

Also: Augen auf beim Hausputz!

Noch mal Flüchtlinge…

Ich bin immer noch dabei, in der Ausgabe der „Zeit“ vom 23.03.2016 zu lesen und komme nicht umhin, dass Thema der Flüchtlinge noch einmal aufzunehmen. Wie auch mir nicht entgangen ist, hat Norbert Blüm, der ehemalige Bundesarbeitsminister – am meisten im Gedächtnis geblieben durch seinen Ausspruch, dass die Rente sicher ist – das Flüchtlingscamp in Idomeni besucht und dort eine Nacht verbracht. Er schildert in dem Artikel „Ich will Nachricht geben“ seine Gedanken und Erlebnisse. Viele mögen ihn für verrückt halten oder schlimmer noch ihm unterstellen, dass er die Aktion für die eigene Publicity gemacht hat. Ich halte das für unerträglich. Ich ziehe meinen Mut vor Norbert Blüm, dass er sich in seinem hohen Alter dieser Strapaze und dieser menschlichen Herausforderung stellt, um der Welt aus der direkten Erfahrung heraus zu berichten, was sich in Idomeni abspielt.

Er geht hart ins Gericht mit den europäischen Politikern, die sich allesamt des Abends in ihre warmen Betten liegen und sich vielleicht noch selbst und gegenseitig rühmen, dass sie die Flüchtlingskrise nun in den Griff bekommen.

„Wir“ scheinen ja auch nicht nur insgeheim froh darüber zu sein, dass der Flüchtlingsstrom jetzt rapide abgenommen hat und man die Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze jetzt schon bald wird aufheben könnte (Ankündigung von de Mazière von heute).

In der gleichen Ausgabe der Zeit äußert sich Joschka Fischer zu der Frage, ob man mit autokratischen Staatoberhäuptern wie Putin reden sollte. Er bejaht dies, da Blockade und Einstellen der Beziehungen keine Alternativen und darüber hinaus gefährlich seien. Weiterhin beschreibt Fischer das Dilemma, in dem sich demokratische Staaten befinden, die sich einerseits ein Wertesystem gegeben haben, das auf der Einhaltung der Menschenrechte und der Menschenwürde fußt, anderseits aber natürlich auch knallharte politische Interessen verfolgen (müssen), also Werte gegen Interessen. Wenn ich Frau Merkel bei ihren Auftritten beobachte, habe ich den Eindruck, dass sie sich seit ihrer Begegnung mit dem pakistanischen Mädchen in einer Fernsehsendung verändert hat, dass sie diese Begegnung tief berührt und sie innerlich vielleicht auch erschüttert hat.

Nun ist sie in der Folge wieder mit der Realpolitik konfrontiert worden, die ihr einerseits den Widerstand der meisten europäischen Staaten und anderseits Drohgebärden aus der sogenannten Schwesterpartei und den eigenen Reihen beschert und sie gezwungen hat, sich den Bedingungen anzupassen und Lösungen zuzustimmen, die sie persönlich so vielleicht nicht getroffen hätte. Ich räume ein, dass ich nicht sicher bin, ob ich da richtig liege.

Um den Bogen zu schlagen zu Norbert Blüm: Er steht nicht mehr auf der politischen Bühne und kann jetzt endlich das sagen, was ihn bewegt und aus der moralischen Perpektive argumentieren Ich finde es sehr wichtig, dass Menschen wie er uns immer wieder vor Augen führen, dass es nicht in Ordnung ist, was dort in Idomeni und anderswo passiert, und dass wir uns nicht zuviel Sand in die Augen streuen lassen von denjenigen, die behaupten, dass das alles mit „rechtstaatlichen“ Mitteln vonstatten geht.

Gut, meine Perspektive ist auch moralisch und vielleicht christlich orientiert, aber was ist denn mit uns Menschen, wenn wir uns dieser Kategorie im Denken und Handeln entledigen mit dem Hinweis auf die politischen Zwänge.

Andererseit erkenne ich natürlich an, dass die Politik beide Seiten im Auge behalten muss. Zurück zu den Gedankengängen von Joschka Fischer, der schreibt, dass man mit Assad reden müsse, „solange er über die Macht verfügt, dem Morden in Syrien vielleicht ein Ende zu bereiten“. Bezüglich der Türkei fährt er fort “ Die EU wird ihre südöstlichen Außengrenzen nich ohne Kooperation mit der Türkei schützen können. Darüber hinaus spielt das Land im Nahen Osten bis hin nach Zentralsaien geopolitisch eine bedeutende Rolle…“ Auch dieser Argumentation kann ich mich nicht entziehen. (Einschub: Der Begriff der Sicherung der Außengrenzen geht mir auf die Nerven, d.h. doch mit anderen Worten nichts anderes, als das wir die Flüchtlinge eigentlich gar nicht haben wollen, dass sie gefälligst draußen zu bleiben haben. Die Flüchtlinge in Idomeni werden aktuell geopfert für diese Politik der Abschottung und Abschreckung!)

Fischers Schlussfolgerung: „Die Kunst demokratischer Außenpolitik besteht darin, vor allem die langfristigen Weichenstellungen so vorzunehmen, dass möglichst wenige Widersprüche zwischen Werten und Interessen auftreten und tagtäglich die Balance zwischen beiden Teilen ihrer Fundamente gelingt“. Ich frage mich allerdings, wo im Moment die Werte noch ihren Ausdruck in der konkreten Politik finden, was das für Werte sind, auf die die EU sich aktuell gründet und ob z. B. das gestrige Nein der Niederländer zum Assoziierungsvertrag mit der Ukraine nicht schon der Anfang vom Ende der EU ist.

So, das musst jetzt einfach raus zu den politischen Ereignissen. Irgendwo muss man/frau ja hin mit den Gedanken.

Es grüßt euch

Claudia