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Morgens um sieben….

ist die Welt noch in Ordnung, dachte ich gerade so bei mir im Traum, als mein Wecker mir unverschämt „Viertel vor sieben“ ins Ohr zeterte. Ich gab ihm eins auf Maul und wollte mich noch mal umdrehen. Dem widersprach der Müllwagen von draußen. Lautstark ächzend belud er sich mit den Plastikabfällen der letzten beiden Wochen.

Und da schoß mir durch den Kopf: Freitag, 7. Juli 2017. Liste. Müll rausbringen. Claudia Rachut. Es schoß mir in die Glieder. Ich hatte vergessen, am Abend vorher den Müll an die Straße zu stellen. Ich! Die Hüterin des Müllrausbringehausplans!Ich! Ich, die darüber wacht, dass die anderen Hausbewohner, insbesondere die Neuzugänge, die mit den Gepflogenheiten in einem Mietshaus und speziell in unserem, noch nicht vertraut sind, ihren Dienst ausführen.

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Ich bin keineswegs die Hausmeisterin in diesem Haus, in dem ich wohne, und hatte auch nie entsprechende Ambitionen, auch wenn es hier und da anders launtende Gerüchte gibt. Ich hasse es auch, andere Menschen zu erziehen. Meinen Sohn habe ich gerade noch groß gekriegt, aber doch auch mehr in einem demokratischen Diskurs. Manches hat geklappt, manches auch nicht, manches trägt auch jetzt erst Früchte.

Zurück zum Thema. Als ich hier einzog, war es der Familienvater ganz unten links im Haus gewesen, der offensichtlich immer alle Mülltonnen rausstellte. Wie sich das entwickelt hatte, konnte ich im Nachhinein nicht mehr eruieren. Es war halt so und keiner hatte sich je beschwert. Als die Familie auszog, entstand folgerichtig eine Müllherausstellungsvakuum. Ich kann mich nicht erinnern, wieso und warum, jedoch scheine ich in eben dieses Vakuum hineingesprungen zu sein, denn Vakui (ja, so heißt das, habe ich kürzlich noch nachgeschlagen und meinem Sohn als Rätselfrage gestellt, was ihn in tiefste Verzweiflung stürzte) kann ich im Allgemeinen schlecht ertragen und nicht geleerte Mülltonnen noch weniger, vor allem im Sommer aus Gründen, die sich jeder bild- und gerüchlich vorstellen kann. So führte ich also eine Liste ein, auf der alle Hausbewohner, bis auf die älteren unter ihnen, die ich großzügig freigestellte, gleichmäßig für Dienste eingeteilt wurden. Später konnte dem Gerechtigkeitsgedanken nicht mehr durchweg Genüge geleistet werden, da die Anzahl männlicher Mieter auf zwei schrumpfte und ich sie allein auf das Herausbringen der Papier- und Restmülltonnen verpflichten musste, während die weiblichen Hausbewohner seither die Säcke (um jedwedem Missverständnis aus dem Weg zu gehen, die gelben Säcke für Verpackungsmaterial, ) an die Straße zu stellen hatten. Bisweilen hat es eben auch Vorteile, für das „schwache“ Geschlecht gehalten zu werden. Auf einer eigens einberufenen Hausversammlung stellte ich die Liste zur Abstimmung und erhielt die erforderliche Stimmenmehrheit. So wurde  mein Vorschlag aus olfaktorischen Gründen angenommen und trat in Kraft.

Im Laufe der Zeit gab es immer mal wieder neu eingezogene Mieter und Mieterinnen, die erst mit dem Verfahren vertraut gemacht werden bzw. bei denen die Einsicht in die Notwendigkeit des solidarischen Handelns in einer Hausgemeinschaft erst geweckt werden musste. Im Großen und Ganzen aber ein Erfolgsmodell.

Am vorletzen Freitag hatte ich keine Zeit mehr, meinen Gedanken über diese Erfolgsgeschichte länger nachzuhängen. Ich sah es schon vor meinem inneren Auge, sie würde ins Wanken geraten, nein für alle Zeiten und ein für allemal beendet sein, würde ich in diesem Augenblick versagen. Meine Körpertemperatur musste inzwischen die 40° überschritten haben. Meine Pulsadern quollen hervor, so dass ich mit bloßem Auge erkennen konnte, dass etwas schief lief. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn, lief meine Wirbelsäule hinunter.

Wegen der Sommerwärme recht spärlich bekleidet mit einem Schlafanzugoberteil streifte ich mir flugs meine Jeans von gestern über, war schon fast drauf und dran, barfuß die Treppe herunter und auf die Straße hinaus zu stürzen, um das Unheil  aufzuhalten, als ich fast – zum Glück – über meine Mokassins stolperte, in die ich hineinschlüpfte. Dann raus auf die Straße. Der Müllwagen hatte unser Haus schon passiert und war auf dem Weg zur Straßenkreuzung. Ich hinterher in meinem unvollständigen Aufzug, wild mit dem Arm gestikulierend und „halt“, „halt“ rufend. Der  Müllwerker schaute mir ziemlich entgeistert entgegen. Beim ihm angekommen, haspelte ich ihm etwas ans Ohr, von wegen Müll vergessen, ich, ausgerechnet ich….Liste usw. usf. und zeigte dabei auf unser Haus. „Müll“ musste er wohl verstanden haben, denn er folgte mir im Laufschritt zurück und half mir sogar, die gelben Säcke aus dem Keller zu holen. Als wir wieder hochkamen, hatte auch der Müllwagen bis auf Höhe unseres Hauses zurückgesetzt, lud die gelben Säcke auf und für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich wahrzunehmen, dass er mir wohlwollend zuzwinkerte.

Und was war mit der Grünen Tonne? Die hatte ich auch vergessen. Der Müllwerker beruhigte mich: dafür seien sie nicht zuständig, aber die würde später abgeholt. Gerettet.

Im Geiste hatte ich schon all die  HausbewohnerInnen, die ich über die Jahre an ihre Aufgabe erinnert hatte,  eine rauschende Party aus Anlass meines Versagens feiern sehen!

Noch mal Glück gehabt.

Sieben Uhr. Jetzt war die Welt wieder in Ordnung.