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Und, wie lange musst du noch?

Nachdem die  Frage nach dem allgemeinen Befinden abgehandelt ist, folgt im fortgeschrittenen Alter, und erst recht, wenn man oder frau die 60 überschritten hat, unweigerlich diese Frage: Und, wie lange musst du noch? Ja, was denn? Was muss ich denn? Was wohl? Arbeiten natürlich.

Vor einigen Jahren war ich noch fast beleidigt, wenn mir diese oder in diese Richtung weisende Fragen gestellt wurden, dachte ich, man müsse doch sehen, dass ich noch nicht so weit bin. Gut, mit dem Schätzen des Alters anderer Menschen habe ich auch so meine Schwierigkeiten.

Aber jetzt muss ich es wohl so hinnehmen, dass mir diese Frage mit allem Ernst gestellt wird und  der Gedanke an die Rente ist tatsächlich näher gerückt. Während ich in den letzten Monaten aufgrund meiner OPs zu Hause bleiben musste, erschien es mir plötzlich nicht mehr so unvorstellbar, irgendwann ganz zu Hause zu bleiben.

Das älter werden ist nicht mehr wegzudenken und wegzuschieben. So wie jeder Mensch sich intensiv mit der jeweiligen Lebensphase beschäftigt, in der er oder sie sich gerade befindet, so nimmt die Auseinandersetzung mit dem Altern bei mir einen zunehmenden Raum ein. So wie sich Kinder mit der nächsten Klassenarbeit, Studenten mit bevorstehenden Klausuren, Eltern sich mit ihrem Nachwuchs beschäftigen und in dem Moment nichts anderes zählt, so steht das Thema älter werden immer wieder auf der Tagesordnung, gezwungenermaßen oder auch ganz freiwillig.

Manchmal allerdings kann ich mich selbst nicht mehr hören, wenn ich über das altern spreche oder schreibe, aber ja, ich gehöre jetzt auch offiziell rein nach Jahren gerechnet zu den Seniorinnen.

An allen  Ecken und Kanten merke ich, dass es nicht mehr so rund läuft wie noch vor einigen Jahren, weder im Kopf noch in den Beinen. Kein Wunder, dass ich mich damit beschäftige. Es bleibt mir auch gar nichts anderes übrig. Denn ich werde ja ständig daran erinnert.

Aber nein: Ich will mich davon nicht beherrschen lassen und irgendwo in meinem Inneren fühle ich nicht „alt“, nein, dort bin ich ganz jung. Wenn man an eine Seele glaubt, dann sagt man von ihr, dass sie nicht altert, dass sie die physische Existenz überdauert und dass es ihr völlig egal ist, dass Körper und Geist eine andere Sprache sprechen.

Gewiss ist es nicht einfach, diese beiden Seiten meiner Existenz zusammen zu bringen und sie gleichermaßen wertzuschätzen und ihnen Gehör zu verschaffen.

Meine physische Existenz verlangt, dass ich mich an die sich verändernden Bedingungen ständig neu anpasse, dass ich mich mit ihnen arrangiere, ihnen möglicherweise durch meine Lebensweise zu trotzen versuche. Ich muss akzeptieren, dass meine Abläufe langsamer geworden sind. Vielleicht bin ich dadurch aber auch gelassener geworden. Ich muss nicht mehr mit dem Tempo der jungen Leute mithalten, ich muss nicht mehr so viel kämpfen wie in früheren Jahren. Vieles muss ich nicht mehr, anderes möchte ich noch, kann es aber nicht mehr. Die Angst, was in einigen Jahren sein wird, wenn die Kräfte weiter nachlassen, reist immer mit, wohin ich mich auch fliehen mag.

Meine Seele hingegen schwingt noch immer in altersloser Schönheit und jugendlichem Leichtsinn durch das Universum. Sie beschert mir manchmal Gefühle wie einer 18jährigen, wie schön und wie aufregend. Sie wartet darauf, dass ich ihr Nahrung gebe, dass ich mich am Leben freue,  lache, tanze, schöne Dinge tue.

Ich erinnere mich gerne an meine Mutter, wenn sie mir von ihren Männerbekanntschaften aus jungen Jahren berichtete und wie ihre Augen dann zu glänzen begannen, wie aufgeregt sie mir erzählt hat, dass sich ein Herr aus dem Altersheim wohl für sie interessiert. Es gibt Dinge, die hören nie auf, die Liebe, die Sehnsucht danach, die ungestümen Gefühle.

Meine Seele ist hungrig nach Leben. Trauer, Zorn und negative Gefühle sind ihr Ding nicht. Trauer ist unvermeidlich, hat ihren Platz und ihre Notwendigkeit. Trauer um verlorene Fähigkeiten aber vor allem Trauer über den Verlust lieber Menschen. Zorn und negative Gefühle „beschmutzen“ die Seele und versperren den Blick auf die lebenswerten Seiten des Lebens.

Und dennoch wird das Leben enger, daran geht kein Weg vorbei. Es ist wie ein Trichter, am Anfang noch weit geöffnet für scheinbar unendliche Möglichkeiten  und nun immer schmaler werdend. Er zwingt mich oder gibt mir positiv gewendet die Möglichkeit, das Wesentliche vom Unwesentliche zu unterscheiden, das Leben  zu kondensieren und auf das zu konzentrieren, was mir wichtig ist und mir Kraft und Freude schenkt:

Menschen, die mir zuhören, und denen ich für die Zeit unseres Gesprächs meine ganze Aufmerksamkeit schenke. Menschen, die mich eigentlich nur als Projektionsfläche für ihre eigenen Gedanken brauchen, und denen es im Grunde egal ist, wer ihnen da gegenüber sitzt, tun mir nicht gut. Vielleicht steckt dahinter aber auch eine tiefsitzende Angst, sich mit den wirklich wesentlichen Themen ihrer eigenen Existenz auseinanderzusetzen. Kein Urteil. Das kommt mir nicht zu. Für mich aber „verlorene“ Zeit.

Bücher, die mich bereichern, die mich in sie hineinziehen wie in einen Sog und mich erst wieder freigeben, wenn das Buch ausgelesen ist. Da ist wie Spielen in der Kindheit. Ich vergesse Zeit und Raum, bin ganz in der Phantasiewelt des Buches, lebe und leide mit den Figuren und nehme auch noch etwas davon mit in meine Realität. Das ist es, was mich erfüllt: diese Momente, in denen ich ganz zugegen bin, in denen mich eine Sache mitreißt. Ich weiß nicht, woher ich das habe, wahrscheinlich aus irgendeinem philosophischen Ansatz, dass die Kunst des Lebens darin besteht, alles was man tut, mit ganzer Hingabe zu tun, dabei ist es ganz egal, was. Ehrlich gesagt: so ganz will mir es mir nicht gelingen, meine Wäsche mit der gewünschten Versenkung zu bügeln.

Aber wenn ich z.B. einen Artikel wie diesen schreibe, dann passiert mir genau das. Ich vergesse alles um mich herum, ich schaue auch nicht auf die Uhr…nur zu spät abends darf es nicht werden, denn dann nehme ich die Gedanken mit ins Bett uns spinne sie dort weiter. Das ist definitiv nicht gut!

So heißt es für mich immer wieder, die innere Balance zu halten zwischen dem, was schwer ist, was erlebt und gelebt werden muss und was schön ist, was mir Freude macht und mich erfüllt.

Und wenn mich mal wieder jemand fragt, wie lange ich noch muss, dann sage ich: ich muss gar nicht, ich möchte noch arbeiten. So lange es mir noch Freude macht, so lange ich es noch kann…..

Und dann sieht man weiter. Jeden Tag neu erfahren, sich erfahren, das Leben umher aufnehmen und seinen Weg finden.

 

Lebensgefühle

Sie steht vor dem Spiegel und was er ihr zurückwirft, gefällt ihr mal mehr, mal  weniger. Morgens eher weniger, wenn die Haare noch zersaust und die Falten im Gesicht vom Kopfkissen noch tiefer eingegraben sind als sonst. Und außerdem leuchtet der neue Spiegel Stellen im Gesicht aus, die sonst im Unklaren geblieben sind. Untrügliche Wahrheiten über die Zeichen der Zeit. Eine Katastrophe? Sicher nicht, aber immer die Notwendigkeit, sich mit dem Gegebenen neu auseinanderzusetzen, sich zu gewöhnen und, wenn’s gut läuft, auch anzufreunden, denn zu ändern ist nichts und es gehört schließlich alles zu ihr.

Überhaupt, denkt sie, ist das Badezimmer offensichtlich ein Raum, in dem sie zum Nachdenken kommt. Keine Ablenkung, kein Fernseher, kein Computer, nichts, nur sie und das Badezimmer. Das hingegen erzählt ihr Geschichten, wie alles in ihrer Wohnung. Geschichten, wie sie hier vor 20 Jahren eingezogen ist und versucht hat, eigenhändig die alten Fliesen abzuschlagen, um noch ein paar Euro zu sparen, und diese Aufgabe schließlich doch den Fachleuten überlassen hat, bevor die ganze Wand eingestürzt wäre. Und über das, was sich alles seit Herbst letzten Jahres in diesem Raum abgespielt hat. Das Ausbeulen fast einer ganzen Wand durch die Erschütterungen beim Herausreißen der alten Türen. Der Einbau der neuen Badewanne, aus deren Abflußrohr am nächsten Morgen das Wasser ins Badezimmer lief. Und nicht zuletzt der selbst zusammengebaute Spiegelschrank. Sie nannte dieses Möbelstück früher immer nur „Alibert“, Überbleibsel aus ihrer Kindheit, in der der Alibert aufkam und als Zeichen von Modernität galt. Warum sie sich ausgerechnet einen Spiegelschrank als Bausatz und nicht als fertiges Modell ausgesucht hatte, konnte sie sich im Nachhinein nicht mehr erklären. Es war definitiv die falsche Entscheidung. Aber es gibt ja bekanntlich keine Probleme, sondern nur Lösungen. Und so hat sie kurzerhand den Dekorateur, der eigentlich für die Gardinen zuständig war, für die letzten Handgriffe beim Zusammensetzen und das Aufhängen dieses monsterschweren Schranks rekrutiert. So ist nun alles gut (so wie es im Moment aussieht) und sie kann unbeschwert von diesen Äußerlichkeiten ihren Gedanken nachhängen. Am Morgen sind es manchmal die Gedanken an die letzte Nacht, am Abend die Rückschau auf den Tag. Ein paar Minuten nur, in denen sie sonst alles um sich herum vergisst….Meditation beim Zähneputzen.

Hat sich das Lebensgefühl geändert seit ihrem Geburtstag? Es wird viel darüber diskutiert in ihrer Altersgruppe, ob runde Jahreszahlen, und hier vor allem die höheren, etwas verändern. Manche bringen offen ihre Angst vor dem Geburtstag und sicher vor dem, was sie zukünftig erwarten könnte, zum Ausdruck. Andere machen an diesem Ereignis keine besonderen Gefühle fest. Rückblickend stellt sie fest, dass die runden Geburtstage in ihrem persönlichen Leben auch immer von mehr oder weniger tiefgreifenden Veränderungen  begleitet waren. Außer vielleicht bei ihrem 20sten Geburtstag. Damals noch jung, mitten im Studium, in Aufbruchstimmung und politisch engagiert, aber auch schon nicht mehr so enthusiastisch, wie noch einige Jahre zuvor. Als sie 30 war, bekam sie ihren Sohn. Das ergreifenste und einschneidendste Ereignis in ihrem Leben. Nicht nur dieser eine Moment und die vorangegangene Schwangerschaft, die alles andere als einfach gewesen war, sondern natürlich die ganzen Jahre bis heute. Sie hat viel gelernt in dieser Zeit und tut es noch immer. Sie hätte es nicht missen mögen. Was wäre ihr Leben ohne diese wichtige Erfahrung gewesen? Und wieviel profitiert sie noch heute von den ausgiebigen Gesprächen mit ihm.

Wie wahrscheinlich viele alleinerziehende Mütter, hat sie ein sehr enges und gutes Verhältnis zu ihm. Damals, als er zum Studieren nach Malta gegangen ist, hat es ihr tagelang  buchstäblich den Atem verschlagen, aber sie wusste, dass es für ihn gut und notwendig war und hat ihn darin bestärkt, seinen Weg zu gehen.

Heute denkt sie daran, wie das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter sich irgendwann umgekehrt hat von der sie stets umsorgenden  zu der selbst hilfsbedürftigen Mutter. Es hat damals so seine Zeit gebraucht, bis sie die Veränderung akzeptiert und ihre Mutter auch so annehmen konnte, wie sie dann in ihrer zunehmenden Hilfsbedürftigkeit wurde. Aber vielleicht widerholt sich hier auch etwas. Ihre Mutter hatte ihr in ihrer Jugend immer zugehört, so hat sie es jedenfalls in Erinnerung. Sie hat sich stets bemüht, auch für ihren Sohn ein offenes Ohr zu haben. Und auch er wird sich eines Tages daran gewöhnen müssen, dass seine Mutter nicht mehr so sein wird, wie er es immer für selbstverständlich  gehalten hatte.

Wenn sie so schreibt, wird ihr wieder einmal bewusst, wie oft sie sich auch jetzt schon an Vergangenes erinnert, wie manchmal plötzlich Bilder aus der Vergangenheit wieder in ihren Bewusstsein kommen, die sie schon längst vergessen glaubte. Das ist wohl auch ein Zeichen des Alterns. Vielleicht brauchen wir einfach eine ganze Zeit lang, um all das Erlebte tatsächlich zu intergrieren, mit allem Frieden zu machen, bis wir dann eines Tages hoffentlich mit allem im Reinen gehen können.

Mit 40 hatte sie sich gerade nach jahrelangen nicht stattgefundenen Auseinandersetzungen von ihrem Mann getrennt  und musste sich nun mit ihrem Sohn ganz neu orientieren. Es war anfangs nicht leicht, in keinerlei Hinsicht, aber (lebens-)notwendig. Sie musste ihr Leben mit ihrem Sohn allein stemmen nach so vielen Jahren in einer wenn auch nicht immer glücklichen, aber dennoch irgendwie in einem geschützten Raum stattfindenden Ehe. Es kamen intensive Jahre der Auseinandersetzung mit sich selbst.

Mit 50? Fast hätte  sie vergessen, dass es mit Ende 40 die Reise nach Sizilien gegeben  hat, ein  Ereignis, das sie lange Zeit beschäftigt hat. Aber darüber wird geschwiegen. Auch das muss es geben.

Sie hat sich mit den Jahren ihren Lebensraum neu erobert, ist stärker und selbstbewusster geworden, trotz immer noch quälender Selbstzweifel. Ob die jemals aufhören werden?

Und jetzt, um gleich den Sprung in die Gegenwart zu wagen, jetzt ist sie gerade 60 geworden. Wie ist ihr Lebensgefühl jetzt? Sehr gemischt. Sie würde nicht so weit gehen und sagen, dass der 60ste Geburtstag nun auch gleichzeitig eine neue Alterungsphase eingeleitet hat, festzustellen bleibt aber, dass sich Veränderungen einstellen. Ende letzten Jahres – aber das würde ja noch in die ante 60 Zeit fallen, die Operation am rechten Fuß, die sie allerdings schon Jahre vorher hätte machen können. Dann aber, kurz nach dem 60sten, Verschlimmerung des grauen Stars und Notwendigkeit einer Operation. Und Rückenschmerzen…und…und. Sie erinnert sich gerade an eine ehemalige Mitschülerin vom Gymnasium, die sie auf einem Klassentreffen (es war anlässlich des 30jährigen Abiturs) wieder traf und erschrocken war über ihr Aussehen: Sie war übermäßig geschminkt, wirklich übermäßig und wie man so schön sagt: unnatürlich. Das ist selbstverständlich ihre persönliche Meinung dazu, das gesteht sie unumwunden zu. Im Gespräch stellte sich allerdings tatsächlich heraus, dass diese Frau massive Probleme mit dem älter werden hatte und offensichtlich mit aller Kraft versuchte, das Alter zu kaschieren.

Sie ist anders gestrickt. Sicher machen ihr die Alterserscheinungen auch zu schaffen, aber sie kann und will sich deshalb nicht verbergen. Sie will sich nicht verbergen, nicht äußerlich und nicht innerlich. Sonst würde sie vermutlich auch nicht bloggen! Es gibt Bereiche, die nur ihr zugänglich sind und zugänglich bleiben werden, aber im Allgemeinen möchte sie über das, was ihr geschieht und womit sie sich beschäftigt, auch mit anderen teilen können. Wozu sind wir sonst soziale Wesen?

Sie vermutet, dass viele Frauen sich mit ähnlichen Gedanken auseinandersetzen und ähnliche Prozesse durchmachen, jede mit der ihr eigenen  Art, damit umzugehen.

Komisch, vor einiger Zeit sprach sie mit einem Arbeitskollegen, der ein Jahr älter ist als sie. Er berichtete auch über seine Wehwehchen und Gedanken über das Älter werden. Warum hat sie eigentlich gedacht, dass Männer davon nicht betroffen sind? Weil Frauen die Männer auch immer gerne in der Beschützerrolle sehen und damit Probleme haben, wenn eben diese Beschützer auch Schutz brauchen?