Heute mal die Besprechung eines Buches, das schon 2006 erschienen ist und das mir erst jetzt in die Hänge gefallen ist: „ An einem Tag wie diesem“ von Peter Stamm. Soweit ich mich erinnere, habe ich vor Zeiten auch sein Buch „Ungefähre Landschaft“ gelesen, kann mich aber nicht mehr an Einzelheiten erinnern.
Bücher zu kommentieren für mich also auch die Möglichkeit, später noch mal nachzulesen, worum es ging.
Der langen Vorrede kurzer Sinn: Vage Erinnerung, dass mir „Ungefähre Landschaften“ gefallen hatte und ich mir deshalb auch dieses Buch ausgesucht habe. Übrigens, war mal ein Spiegelbestseller.
Andreas, der Protagonist, ist um die vierzig, als er den Entschluss fasst, sein Leben zu ändern, nicht freiwillig indes. Ein nicht nachlassender Husten führt ihn zum Arzt, der ihm sagt, es könne harmlos oder aber auch ernsthaft sein. Andreas lässt zur Klärung ein MRT machen, verlässt aber die Arztpraxis, bevor ihm das Ergebnis mitgeteilt wird. Er will es nicht wissen oder, besser gesagt, er hat Angst….
Andreas fühlt sich eher als Statist oder Zuschauer eines „imaginären Films“, denn als Akteur in seinem eigenen Lebens. In einem kleinen Schweizer Dorf geboren und aufgewachsen, erlernt er den Lehrerberuf und bekommt schließlich eine Stelle an einer Pariser Schule.
Eines Tages, als er den Unterricht vorbereitet, fällt ihm ein kleines Büchlein mit Liebesgeschichten als Lehrstoff für seine Schüler in die Hände. Eigentlich mag er keine Liebesgeschichten für den Deutschunterricht wegen der Tuscheleien der Schüler. Er beginnt zu lesen von der Romanze zwischen einem französischen Au-pair-Mädchen und einem deutschen Jungen und erinnert sich an den Sommer, in dem er Fabienne kennen- und lieben gelernt hatte. Schon damals hatte er sich nicht getraut, Fabienne seine Liebe zu gestehen, bis auf einen flüchtigen Kuss, den er gewagt hatte. Man darf vermuten, dass Fabienne gerade auf dieses Geständnis seiner Liebe gewartet hatte.
Einige Jahre später begegnen sie sich wieder in Paris, wo Fabienne noch studiert und Andreas ein Praktikum absolviert. Aber auch hier bringt er es nicht fertig, seine tatsächlichen Gefühle zu äußern, und so bleibt es auch hier bei Äußerlichkeiten.
Später erfährt Andreas, dass Fabienne inzwischen Manuel geheiratet und ein Kind bekommen hat, Manuel, sein damaliger Freund, der in dem besagten Sommer auch dabei gewesen war.
Andreas führt ein Leben, das wesentlich durch das Gefühl der Leere gekennzeichnet ist. Er lebt in den Routinen seines Lehrerberufs, hat Affären mit verschiedenen Frauen und es gefällt ihm, wenn diese keine Ansprüche stellen und möglichst unbeteiligt bleiben, wie er selbst.
Aber da ist die Erinnerung an Fabienne…
Als Andreas die Mitteilung bekommt, dass er vielleicht eines lebensbedrohliche Krankheit hat, schmeißt er alles hin, kündigt seinen Stelle, verkauft seine Möbel und trennt sich von (fast) allem, was von seinem bisherigen Leben an Erinnerungen übrig geblieben ist . Bleibt nur noch der rote Kunstlederkoffer, mit dem er vor achtzehn Jahren nach Paris gekommen war, und neben ein paar anderen Kleinigkeiten, die Briefe von Fabienne.
„Nicht einmal sein Adressbuch packte er ein. Er fühlte sich sehr leicht, von allem Ballast befreit. Es war ihm, als habe er die ganzen Jahre geschlafen, als sei er taub geworden wie ein Körperteil, das man lange nicht bewegt hat. Jetzt empfand er jenen seltsam lustvollen Schmerz, den man spürte, wenn das Blut zurück in den Arm oder das Bein schießt. Er war noch am Leben, bewegte sich“.
Und dann macht sich Andreas auf den Weg zurück in die Schweiz, um einige Dinge zu klären…
In diesem Roman verbinden sich zwei Stränge miteinander. Da ist die Frage des, was wäre geschehen, wenn eine Liebe – der man irgendwann im Leben begegnet ist, die damals aber unerfüllt und unbeantwortet geblieben war – doch gelebt worden wäre? Eine Geschichte, die wahrscheinlich viele von uns erlebt haben. Es bleibt immer diese Frage, ob man nicht glücklicher gewesen wäre, ob das Leben nicht besser, schöner, reicher verlaufen wäre.
Der zweite Strang ist das Leben von Andreas, das in Gleichförmigkeit und Leere erstarrt ist, einer Gleichförmigkeit und Routine, die ihm gleichzeitig Halt gibt, denn er hat Angst, dass sein Leben im Chaos versinken würde, wenn er sich aus diesem Leben hinaus begäbe. Auch das sicherlich eine Erfahrung von vielen von uns, dass wir zwar mit dem, was wir gerade tun, nicht zufrieden sind, diesen Zustand aber lieber so beibehalten, als auszubrechen und das Unbekannte zu wagen.
Und dann tritt ein Ereignis in unser Leben, das uns dazu auffordert, nochmal alles zu überdenken.
Als ich vor ein paar Tagen einer französischen Freundin den Inhalt des Buches erzählte, merkte ich , wie sie mir sehr aufmerksam zuhörte, wie sie ganz aufgeregt wurde und mir schließlich erzählte, dass auch sie eine ähnliche Geschichte erlebt hatte als junges Mädchen auf einem Ausflug nach Deutschland…und wie sie die Geschichte auch jetzt, nach so vielen Jahren, noch bewegt. Ich habe etwas Ähnliches erlebt und wahrscheinlich nicken einige von euch jetzt auch verstehend mit dem Kopf. Wie mächtig sind diese Erinnerungen.
Ja, von daher betrachtet kann das Buch alte Wunden wieder aufreißen oder schöne Erinnerungen wieder wach rufen.Die Frage, was gewesen wäre wenn, hat mich lange Jahre nicht losgelassen und ich habe eine Antwort eingefordert, die ich nie erhalten habe. Es sind die Beziehungen, die letztlich einfach so, ohne ein Wort plötzlich zerbrechen und in der Luft hängen bleiben, die uns ein Leben lang beschäftigen.
Andreas befreit sich schließlich in einem guten Sinn und hat Raum für Neues geschaffen. Und er befreit sich auch ein Stück weit von der Angst vor sich selbst und seinen Gefühlen, die übermächtig sein muss, da er sie die ganzen Jahre unterdrückt hat. Endlich, am Ende, fließen Tränen….