Ich weiß nicht, ob es das trifft, was mir in letzter Zeit häufig durch den Kopf gegangen ist….
Unschuld verloren heißt, die Sache, nein das Leben, auch immer vom Ende her zu denken, denken zu müssen, nicht mehr unschuldig und unbedarft in die Zukunft sehen zu können, das ist es! Wissen, dass die eigene Zeit begrenzt ist, dass die Möglichkeiten sich verengen, das Abschied nehmen vor den Neuanfang tritt. Abschied nehmen von Menschen, von den eigenen Fähigkeiten, von Plänen, die man mal hatte, von Wünschen, die sich nicht mehr realisieren lassen.
Die allgemeine weltpolitische Lage tut ihr Übriges. Sie macht mir Angst. Ich kann es nicht verhehlen. Was passiert da gerade eigentlich. Was ist in die Menschen, oder in viele Menschen gefahren, dass die Agressivität so zunimmt. Was bedeutet Menschsein noch? Haben wir es noch verdient, auf diesem Erdball herumzulaufen, wenn wir uns gegenseitig bekriegen und unsere Umwelt zerstören und für unsere Nachkommen unbewohnbar machen? Wenn allerorten Menschen ausgebeutet, versklavt, ermordert werden für den schnöden Mammon, für die Macht der wenigen über die vielen. War das jemals anders? Wahrscheinlich nicht, nur das meine Generation erst jetzt damit konfrontiert wird in aller Härte. Wie ist es unseren Eltern ergangen?
Das hört sich alles sehr pessimistisch an und ich versuche, nein ich muss manche dieser Fragen auch ganz gehörig verdrängen, wenn ich nicht depressiv werden will. Manche Freundinnen haben mir gesagt, dass sie die Nachrichten schon nicht mehr ertragen. Und es ist auch wahr: wir haben zu zigtausenden gegen TTIPP demonstriert, und wer geht gegen den Krieg in Syrien auf die Straße? Gerade gestern habe ich im Fernsehen gesehen, dass sich eine relativ kleine Gruppe von Menschen auf den Weg nach Syrien gemacht hat, um in einem Schweigemarsch und ohne lautes Getöse für einen Frieden in Syrien zu demonstrieren.
Welche Konsequenzen ziehe ich persönlich für mich?
Was mein eigenes Leben angeht, so versuche ich, mich im Gleichgewicht zu halten zwischen der Anerkennung und dem Annehmen des Älterwerdens mit all seinen Konsequenzen und einer positiven Grundhaltung zum Leben und dem Ausnutzen und Erkunden all dessen, was ich noch kann oder erst jetzt kann. Denn ich verfüge ja inzwischen über ein gerüttet Maß an Lebenserfahrung, die ich in die Wagschale werfen und z.B. an meinen Sohn weiter geben kann. Ich kann Dinge und Menschen besser einschätzen und ich kann mich besser abgrenzen und meine Position deutlich machen. Darum habe ich lange gekämpft und lange gebraucht, bis ich an diesem Punkt angekommen bin. Nicht, das ich schon am Ende wäre mit meiner Entwicklung!
Und ich nehme mir mehr Zeit für Menschen, die vielleicht gerade ein offenes Ohr brauchen. Gestern kam ich mit einem 79jährigen Mann ins Gespräch, der mit seinem Elektrofahrzeug auf dem Bürgersteig fuhr und dem ich Platz machte, als ich mein Fahrrad vor der Tür abstellte. Er hatte wohl das Bedürfnis, sich zu unterhalten und erzählte mir aus seinem Leben. Oft erwische ich mich, dass ich meine, keine Zeit zu haben. Jetzt versuche ich, mich auf Menschen einzulassen. Davon profitiere auch ich. Er brachte mich zum Lachen, als er erzählte, dass er 10 Jahre verheiratet gewesen sei. Eines Tages kam er von Montage nach Hause und fand seine Frau….in ihrem gemeinsamen Bett mit einem Freund vor. Der Klassiker. Er „entließ“ sie sofort. In dem nur 8 Minuten lang dauernden Scheidungsverfahren, sagte er zu dem Richter, der meinte, sie müssten doch das Trennungsjahr einhalten, er könne seine Frau gerne haben, wenn er sie wolle!
Was mein Leben reicher macht, um mit einer Rubrik aus der „Zeit“ zu sprechen, sind die Begegnungen mit anderen Menschen in allen Lebenslagen, Menschen, mit denen ich fröhlich sein kann und bin, Menschen, die ich vielleicht trösten oder ein Zuhörer sein kann. Und ich meide konsequent Menschen, die mir nicht gut tun.Mein Sohn zeigt mir immer wieder, wie einfach es im Grund ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und wie die meisten Menschen positiv reagieren, wenn man sie anspricht. Freundlichkeit, Aufmerksamkeit, Respekt öffnen so viele Türen. Wenn ich die Welt auch nicht im Großen ändern kann, so kann ich ihr vielleicht doch im Kleinen ein anderes Gesicht geben. Und ich meide konsequent Menschen, die mir nicht gut tun.
Ja, ich habe insofern meine Unschuld verloren, als ich erwachsen bin und die Verantwortung trage für alles, was ich tue und sage. Ich habe meine Unschuld verloren, weil ich weiß, wie der Hase läuft, um meine Begrenzheit weiß und gerade in dieser Begrenztheit neuen Sinn finden kann und muss.
Ich habe meine jugendliche Sorglosigkeit verloren, ja diese Sorglosigkeit, dieses auch in den Tag hinein leben, habe ich verloren, sie fehlt mir manchmal!
Aber nichtsdestotrotz: ich lebe, ich freue mich am Leben und lache, wann immer es geht, gerne auch über mich selbst!
Vielleicht hat der eine oder andere Lust, seine Meinung dazu zu äußern!
Bis dahin
Gute Nacht