Schlagwort-Archive: wer bin ich

Die Macht meiner Gedanken

 

Die Frage nach der eigenen Identität und den Möglichkeiten, das Leben selbstbestimmt zu gestalten und gegebenenfalls auch in neue Bahnen zu lenken, beschäftigt mich nicht erst seit gestern, aber in meinem jetzigen Lebensabschnitt noch einmal intensiver. Dabei bin ich letzte Woche wieder einmal in der „Zeit“ auf einen Artikel gestoßen, der der Frage und den Forschungen auf diesem Gebiet nachgeht, in wie fern nicht das Sein das Bewusstsein bestimmt, wie Karl Marx es postuliert hat, sondern umgekehrt, das Bewusstsein das Sein. Mit anderen Worten: „Wie viel Macht haben Gedanken über uns?“[1]

Während die Menschen im Mittelalter die Frage nach dem, was wir sind, vermutlich mit dem Willen Gottes oder der Macht des Schicksals begründet hätten, und Sigmund Freud im 20. Jahrhundert das Unbewusste als Triebkraft entdeckte, stellt die Harvard-Professoren Ellen Langer vielmehr die These auf, dass unsere Handlungen größtenteils auf Annahmen über die Welt beruhen, die uns im Laufe unseres Lebens vermittelt oder eingebläut wurden. Für sie ist das entscheidende Stichwort „Mindfulness“ – Achtsamkeit in dem Sinne, sensibel zu werden für die Frage, ob das, was ich über mich und die Welt denke, auch tatsächlich der Realität entspricht.

Der Artikel beschreibt eines ihrer bekanntesten Experimente, in dem sie Anfang der 80er Jahre alte Herren um die 80 in ein Kloster einlud, in dem alles so eingerichtet war, wie zu der Zeit, als die Probanden zwanzig Jahre jünger waren, einschließlich der Fernsehsendung „Rauchende Colts“ (ja, die Serie habe ich damals auch gerne geschaut, auch wenn ich – doch noch ein wenig jünger bin). Es stellte sich heraus, dass die alten Männer, die es bis dahin gewohnt waren, dass man sie betreut und gepflegt hatte, innerhalb einer Woche wieder viel selbständiger geworden waren, sich ihre Mahlzeiten selbst zubereiteten und auch in Intelligenztest deutlich besser abschnitten als zuvor. Die Frage, ob das Altern auch nur ein Produkt der eigenen Einstellung ist, erscheint mir denn doch zu kühn. Nicht allerdings der Gedanke, dass Menschen wesentlich fitter bleiben, wenn sie noch gefragt sind, Aufgaben erfüllen können und ihrem Leben so noch einen Sinn geben können, und sei es nur, dass sie ein Kreuzworträtsel lösen, leichte Gymnastik betreiben oder beim Backen und Kochen helfen.

Das Verfahren, um Menschen aus ihren gewohnten, angelernten Verhaltensweisen heraus zu holen, nennt Langer „Reframing“, d. h. nichts anderes, als die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sie stellt grundsätzlich alles in Frage, denn wer legt fest, dass etwas so und nicht anders ist, wer bestimmt, was richtig und falsch ist. Das gilt selbstverständlich auch für unser (Vor-)urteil über bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. über Ausländer,  Flüchtlinge, Homosexuelle und sonstige Gruppen, die sich als Sündenböcke eignen.

Ein Beispiel aus der Forschung: Weiße Amerikaner schnitten in einem Test wesentlich schlechter ab, nachdem man ihnen mitgeteilt hatte, sie würden gemeinsam mit asiatischen Kommilitonen schreiben und die Ergebnisse später verglichen.

Veränderungen im Denken und Handeln sind aber nur möglich, wenn sich die Menschen ihrer vorgefassten Meinungen und deren Konsequenzen erstmal bewusst werden.

Interessanterweise haben Forschungen ergeben, dass es nicht reicht, positiv zu denken (die Zusammenhänge will ich hier nicht im Einzelnen schildern), sondern dass es erforderlich zu sein scheint, dass Menschen sich nicht nur gedanklich positiv auf eine Veränderung einstellen, sondern gleichzeitig Schwierigkeiten auf dem Weg dorthin mitdenken. Die Idee dahinter ist, sich das Ziel und die Hindernisse auf dem Weg dorthin innerlich so anschaulich wie möglich vorzustellen. Negative „mind sets“ – Selbstbilder – können überwunden werden, indem man sich u.a. positive Erlebnisse vor Augen führt und in schwierigen Situationen abrufen kann wie z.B. ein Sportler, der auf einen Konkurrenten trifft, gegen den er bisher immer verloren hat und  sich Bilder von einem erfolgreichen Rennen vor Augen führt.

Die Kraft der Gedanken habe ich als jugendliche Turnerin regelrecht am eigenen Leib erfahren. Man nannte es damals schon mentales Training: Ich sollte mir einen Bewegungsablauf beispielsweise am Stufenbarren mental in allen Einzelheiten vorstellen. Wenn mir dieser Schritt gelang, konnte ich die Übung ausführen! Das müsste doch eigentlich auch mit anderen Dingen wie Aufhören zu rauchen oder Abnehmen passieren. Dazu noch was aus eigener Erfahrung: Das Abnehmen ist immer wieder einmal Thema, und auch hier habe ich bemerkt, dass ich im Kopf dazu bereit sein muss. Vor einigen Jahren konnte ich auf einmal regelrecht den Schalter im Kopf umlegen und abnehmen. Vielleicht noch ein anderes Beispiel dafür, dass man Verhaltensweisen und Einstellungen ändern kann: Als mein Sohn so um die 18/20 Jahre alt war, gab’s immer wieder harte Auseinandersetzungen um das Thema Aufräumen. Ich war immer so wütend und schimpfte und schimpfte. Aber alles half nichts bis …. ich, ich weiß nicht, wie das geschah, plötzlich meine Einstellung änderte und mich (fast) nicht mehr aufregte. Von da an schmiss ich seine rumliegenden Sachen stumpfweg in sein Zimmer und räumte dort auch nicht mehr auf. Sicherlich, mein Sohn ist immer noch kein Meister im Aufräumen, und wenn er zu Besuch ist, nervt er mich immer noch mal, aber ich kann’s gelassen nehmen und unsere Beziehung ist sehr gut. Und er verändert auch immer noch mal sein Verhalten, wenn wir uns in Gesprächen darüber auseinandersetzen. Nun hat er es sich auch explizit auf seine Fahnen geschrieben, sich immer neuen Erfahrungen auszusetzen und sein Verhalten ggfs. zu ändern.

Zum Schluss noch ein längeres Zitat aus dem genannten Artikel:

„Die Wirklichkeit ist – nach Kopp-Wichmann – das, was ich sehen will. Welche Bedeutung wir Ereignissen geben, hängt von unseren Erfahrungen ab, daraus entsteht eine „innere Landkarte“. Wer mit dieser Landkarte vertraut ist, kann laut Kopp-Wichmann nicht nur einzelne Verhaltensweisen verändern, sondern sein gesamtes Selbstbild….Hinderliche Selbstbilder versucht Kopp-Wichmann zu verändern. Das funktioniert nicht in zwei, drei Sitzungen, aber es kann der Beginn einer langsamen Umorientierung sein“ (a.a.O., S. 23).

Man darf nebenbei bemerkt nicht vergessen, dass das, was wir über uns selbst denken, auch das beeinflusst, was andere von uns denken im Sinn einer self fulfilling prophecy.

Hört sich alles einfacher an, als es ist, sage ich jetzt mal so dahin. Aber es ist auch nicht unmöglich.

 

Meine LeserInnen mögen verzeihen, wenn ich nicht alles korrekt zitiert oder als zitiert markiert habe. Ist schließlich keine Doktorarbeit, sondern nur eine Anregung und die Quelle ist hinreichend dokumentiert.

 

Würde mich über Kommentare freuen…wie immer

 

[1] Zeitmagazin, Nr. 22, Mai 2016, S. 16

Morgens, mittags, abends

Morgens, mittags, abends

Aufsteh‘n, Schule, Freizeit, schlafen

Morgens, mittags, abends

Aufsteh‘n, Studium, Freizeit, schlafen

Morgens, mittags, abends

Aufsteh‘n, Arbeit, Kinder, Mann und schlafen

Morgens, mittags, abends

Trennung, Tränen, Einsamkeit

Morgens, mittags, abends

Zaudern, Zagen, Neubeginn

Morgens, mittags, abends

Abschied, Sterben, Trauer

Morgens, mittags, abends

Fragen, Fragen, Fragen

An das Leben, was es war und was es ist

An mich selbst,

was soll werden

was du noch nicht gewesen bist

Morgens, mittags, abends

War es, was es war

Nichts ist zu ändern, nichts kommt zurück

Plötzlich war es nur noch, wird nicht mehr

Zeit ist knapp,

um Sinn zu finden in der Endlichkeit

hätte, wäre , könnte, sollte

Konjunktive haben keine Zukunft

hier, und jetzt, am Besten gleich

tun, was noch getan werden kann

sagen, was schon längst gedacht

bevor sie kommt, die Nacht

 

 

Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?

Dieses inzwischen geflügelte Wort von Richard David Precht bringt die Frage unseres Lebens auf den Punkt: Wer bin ich…und wie viele, d.h. gibt es mich als kohärentes Wesen, oder bestehe ich aus mehreren Wesenheiten gleichzeitig, und was ist mein wahres Ich, was macht mich aus, bin ich die, die ich sein möchte…

Dazu einen anderen Satz, den ich auf einem Kalender mit indischen Weisheiten gefunden habe:

„Jeder von uns besitzt eine ihm eigene Natur, der er folgen muss und durch die er den Weg zur Befreiung finden wird“. (Swami Vivekananda)

Ich glaube, jeder kommt in seinem Leben an einen Punkt, an dem er/sie sich diese Frage stellt. Meist sind es Krisen, die vermehrt in der Lebensmitte oder im fortgeschrittenen Alter auftreten, wenn der Blick sich erstmalig nach der Konzentration auf Ausbildung, Karriere und Familie in einer andere, existentielle Richtung bewegt. Frau fragt sich, ob das alles so richtig ist, was frau tut und getan hat, ob es noch andere Lebensziele gibt, die bisher nicht gelebt wurden. Bei mir begann diese Auseinandersetzung bereits im Alter von etwa 3o Jahren auf Grund einer Krise in meiner Ehe. Mein Sohn wurde geboren, das größte und schönste Ereignis in meinem Leben überhaupt, aber der krisenhafte Zustand besserte sich dadurch nur kurzzeitig…Kinder können eben keine Ehe retten!

In den folgenden Jahren beschäftigte ich mich auf verschiedenen Wegen und in Seminaren intensiv mit dem Thema „Selbstfindung“.

Das vorläufige Ende dieses Prozesse war die Trennung erst 9 Jahre später. So lange hatte ich gebraucht, um mich im o.g. Sinn zu befreien. Nun bedeutete diese Entscheidung nicht, dass von heute auf morgen alle Probleme gelöst und ich fortan glücklich und zufrieden weiter lebte. Jetzt musste ich mich und meine Stellung im Leben neu definieren. Alles allein stemmen, allein leben (mit meinem Sohn natürlich, aber in punkto Lebensbewältigung war ich auf mich allein gestellt), das Leben neu organisieren, einen neuen Bekanntenkreis aufbauen. Von den alten Freund*innen blieb kaum jemand übrig, werden alleinerziehende Mütter von anderen verheirateten Frauen doch eher argwöhnisch beäugt und Kontakte abgebrochen.

Um das Ganze von der persönlichen Ebene zu lösen, geht es für mich oder wahrscheinlich für jeden von uns immer noch darum herauszufinden, warum wir eigentlich hier sind und worin wir unseren Sinn finden. Ich habe immer Menschen beneidet, die konsequent einen bestimmten Weg verfolgt haben, z.B. Schauspieler, die schon früh spürten, wohin die Reise für sie gehen sollte und die sich allen Widrigkeiten zu Trotz auf ihren Weg gemacht haben. Mir fehlte immer diese konsequente Richtung in meinem Leben und ich habe sie bis heute nicht gefunden. Vielleicht stimmt das aber auch nicht und ich bin längst auf dem mir gemäßen Weg und habe es nur noch nicht bemerkt. Ich glaube, irgendwo habe ich mich dazu schon mal geäußert. Ist ja auch egal.

Aus der Erfahrung heraus würde ich sagen, der Weg zur Selbstfindung führt über das Hineinhören in sich selbst. Es gibt da Stimmen, die sich Gehör verschaffen wollen. Wenn sie ignoriert werden, finden sie immer neue Wege, auf sich aufmerksam zu machen in Form z. B. von psychosomatischen Störungen oder ernsthaften bis schlimmstenfalls tödlichen Krankheiten. Man möge mich nicht falsch verstehen: Ich glaube nicht daran, dass alle Krankheiten daher rühren, dass wir nicht auf unsere innere Stimme gehört haben, aber es gibt meines Erachtens einen Zusammenhang zwischen einem Leben, das nicht zu meiner Natur und dem, was ich eigentlich hier auf der Welt zu tun habe, passt und Krankheiten begünstigen kann. Ich erinnere an das Buch von Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke aus dem Jahre 1998: „Krankheit als Weg – Deutung und Be-deutung der Krankheitsbilder“. Es gibt andere, konkrete Beispiele aus dem täglichen Leben. Eine Kollegin arbeitet lange Zeit immer viel zu viel. Sie erkrankt immer mal wieder leicht, nimmt diese Symptome aber nicht ernst. Dann zwingen sie massive Rückenschmerzen zur Ruhe. Ich konnte schon mehrere Male in meinem Leben Zusammenhänge zwischen  einer Überlastung und bestimmten Ereignissen  herstellen. Mal erwischte mich im Bus zur Arbeit ein Hexenschuss, so dass ich mich geschlagen geben und eine Zwangspause einlegen musste. Ein anderes Mal hatte ich nach einer sehr anstrengenden beruflichen Phase einen Unfall u.v.a.m. Wie gesagt, ich glaube, die innere Stimme gibt immer abgestufte Signale, je nachdem, wie dringend eine Kehrtwende, ein Innehalten erfolderlich ist. Viele Menschen, die ernsthafte Krankheiten überstanden haben, geben ihrem Leben anschließend eine komplett neue Richtung, weil sie erkannt haben, dass das frühere Leben ihrer eigentlichen Natur widersprochen hat.

Um es nochmal zu betonen: Immer einen kausalen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Lebensweise und dem Auftreten von Krankheiten herzustellen, halte ich sogar für gefährlich, würde es doch bedeuten, dass wir für alle unsere Erkrankungen letztlich selbst verantwortlich und an ihnen „schuld“ sind.

Es kann aber in jedem Fall nicht schaden, auf die Signale zu hören, die der Körper oder auch die Seele senden. Dabei geht es nicht nur um die genannten Signale in Form von Krankheitssymptonen. Die innere Stimme kann manchmal sehr laut werden und bestimmte Handlungen gleichsam einfordern. Dann sollte man ihr auf jeden Fall folgen!

Vielleicht habt ihr in eurem Leben auch schon mal solche Momente erlebt, in denen ihr das Gefühl hattet, irgendetwas tun zu müssen, ohne dass ihr darüber nachgedacht hattet, eine Kraft, die euch in eine bestimmte Richtung führen wollte. Würde mich freuen, davon zu hören.

Eure

Claudia